Idee von Skrjabins "Mysterium" - Auskundschaftung der Zukunft

I.L.Wanetschkina

Der Beitrag Skrjabins zur neuen Kunst wird gewoehnlich auf die Schaffung einer Lichtmusikseile in "Prometheus" beschraenkt. Aus unserer Analyse geht es aber hervor, dass die Idee der Faerblichtmusik, verkoerpert in "Prometheus", nur ein Bestandteil seiner gewaltigen Idee der Allkunst oder, so Skrjabin, des "Mysteriums" gewesen ist. In seinem "Mysterium" hatte er vor, die Synthese vieler Kunstarten, seien es traditionelle oder ganz neue Kunstarten, zu benutzen. Selbstverstaendlich hat Skrjabin die zu jener Zeit gebraeuchliche Terminologie ausgenutat und konnte die konkreten Wege der technischen Realisierung seiner Gedankenwelt nicht voraussehen.

Aber das Leben hat die Verwirklichung seiner Prognosen auf seine eigene Art und Weise berichtigt. Es stellt sich aber heraus, dass Skrjabins Ideen in vielen neuen Gattungen und Formen der heutigen Kunst nachauweisen sind.

Wollen wir diese Behauptung anhand konkreter Beispiele betrachten.

l. Der Hauptgedanke Skrjabins besteht darin, das er gleichzeitig alle Menschen der Welt zu Teilnehmern eines ungewoehnlichen Festes der Kuenste machen wollte um das Menschenbewustsein durch die Mittel der Kunst umgestalten zu koennen. Diese Idee der allgemeinen und gleichzeitigen Zugehoerigkeit zur kuenstlerischen Aktion ist zur Wirklichkeit geworden, aber auf eine ganz andere Art und Weise: nicht die Menschen kommen in einem Ort ausammen, sondern die Kunst erreicht die Menschen per Rundfunk und Fernsehen in allen Ecken und Enden unserer Erde.

2. Skrjabin strebte stets die Erweiterung seiner Tonpalette an. Im Rahmen der herkoemmlichen Musikmittel haben seine Kompositionen einen unerhoerten Klang erreicht. Getraeumt hat er auch von der Schaffung neuer Musikinstrumente mit einer feineren Temperatur. All diese Ideen sind heutzutage in der elektronischen Musik verwirklicht worden. Kein Zufall ist, dass das Klangphotosynthesegeraet des sowjetischen Konstrukteurs Eugen Mursin, versehen mit der durch 72 geteilten Oktave und dadurch mit guten Moedlichkeiten, x-beliebige Klangfarben zu eraeugen, wurde "ANS" (die Abkuerzung von - Alexander Nikolajewitsch Skrjabin) genannt.

3. Eine der skrjabinschen Ideen war die Bestrebung, die Statik der Musiker zu ueberwinden, die Orchesterspieler bewegen zu lassen Heutzutage wird das als ein "instrumentales Theater" bezeichnet. Unter den sowjetischen Komponisten sind es Slonimsky in seinen "Antiphonen", A.Schnittke in seiner "Zweiten Sinfonie", die dieses Verfahren der sich "bewegenden Instrumente" benutzt haben.

4. Diese Idee wird durch eine andere verwandte Idee vervollkommnet. Sie hat aber nicht mit der raeumlichen Bewegung der Instrumentalisten, sondern mit der klanglichen Bewegung in einem Raum zu tun. Das ist die sogenannte "raeumliche" Musik. Auf diesem Gebiet haben A. Schoenberg (das Oratorium "Jacobs Leiter") und E. Vares ("Integrale fuer Schlagaeug") experimentiert. Der russische Ingenieur Dymschya hat 1927 ein Metallophon hergestellt, dessen Plattenspiel in dem Raum verteilt und ferngesteuert worden ist. In Kasan wurde von uns eine 24-Kanalanlage geschaffen, die den Klang in beliebige Lauf baiin, versetzen kann. Von Belimow ist die Komposition "Elektronische Sinfonie" extra fuer diese Anlage komponiert.

5. Die Bewegung des Klanges und der Spieler in Raum vereinigte sich mit Verzichtung auf die Rampe. Nach der Bechauptung von Skrjabin soll keine Grenze zwischen den Darstellern und Zuhoerern bestehen. Die aktive Miteinbeziehung der Zuschauer in der kuenstlerischen Verlauf wird im heutigen Theater breit und weit angewandt. Die aeusserste Form der Erscheinung ist happening.

6. Skrjabin hat von der sich bewegenden fliessenden Architektur, von transparenten von den Musikern gesteuerten Lichtsaeulen geschwaermt. Seine Traeume finden ihre Verkoerperung in der modernen Lichtarchitektur, in den Lichtmusikspringbrunnen, wo die Architektur selbst transparent, fluktuierend und leuchtend geworden ist.

7. Noch einen der Hauptbestandteile des Konzepts Skrjabins macht die Synthese verschiedener Kunstgattungen: der Dichtung, der Musik, des Dramas und der Architektur aus. Dabei soll diese synthetische Handlung als Freilichtzuffuehrung abgespielt werden. Formal angesehen fanden diese Traeume ihre ueberraschende Verwirklichung in den sogenannten "Ton und Licht" - Auffuehrungen. Das ist die gegenwaertige Form der das Stereohoerspiel und die Lichtmusik vereinenden Schauspielkunst. Im Dunkel der Nacht werden die Geschehnisse aus alten Zeiten unter freiem Himmel an einer Gedenkstaette wiederbelebt. Die historischen Steine, die stummen Zeugen der Frau Geschichte taeuschen die Reise in die alten Zeiten vor. Der Klang stammt gleichsam von den wieder lautgewordenen Steinen. Dem Licht kommt die Belebung der Handlung zuteil. In den Hoehepunkten wird es mit der Musik kunstvoll verschmolzen.

8. Und schlieñlich, wird der Name von Skrjabin im Kontext der Kosmisation der Kunst erwaehnt. Man nennt seine Musik eine Raummusik und den Komponisten selbst den ersten Kosmonauten in der Kunst, der eine neue kuenstlerische Welt erschlossen hat. Und das ist kein Zufall. Er hat einmal gesagt: "Die hoechste Groesse ist die hoechste Raffiniertheit. Der interplanetare Raum ist gerade eine Synthese von der Groesse mit der Raffinierung, mit der "aeussersten Transparenz (Durchsichtigheit). Er hat davon getraeumt, dass unser Firmament (Sternenzelt) zur Kuppel eines unendlich grossen Saals wird, und das die herrlichen Naturerscheinungen (Sonnenauf - und Untergang, das Leuchten der Sterne) mit den Kunsterscheinungen zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen. Im Westen ist jetzt Sky-art und Sun-art sehr bekannt, , wo die natuerlichen und kuenstlichen Mittel kuenstlerisch organisiert und vereint sind (Otto Piene, K.Honig). Man schlaegt vor, mit Hilfe eines Lasers die kuenstlichen Natronsterne in den oberen Atmosphaereschichten zu entzuenden. Schon laengst ist von uns der Entwurf des kuenstlichen, zu Skrjabins "Prometheus" gesteuerten Polarlichts vorgeschlagen worden.

Bekannt sind die Experimente in der Generierung des Polarlichts nach dem gemeinsamen franzoesisch-sowjetischen "Araks" - Programm.

Auf diese Weise bestaetigt die gegenwaertige Praxis der neuen Formen und Gattungen der Kunst die Lebendigkeit der geniellen Ideen des Neuerers Skrjabin, die schon laengst sein Jahrhundert weit ueberschritten haben.

(The report was given in German at the festival "Impakt", Holland, 1991.)

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